Kryptowährungen als Mittel zur Umgehung von Sanktionen in Venezuela

Kryptowährungen als Mittel zur Umgehung von Sanktionen in Venezuela

Im Jahr 2018 startete die venezolanische Regierung unter Nicolás Maduro ein Experiment, das die Welt der Finanzen veränderte: den PETRO, die erste staatlich ausgegebene Kryptowährung der Welt. Offiziell hieß es, sie solle die Hyperinflation bekämpfen. Doch hinter der Fassade der wirtschaftlichen Rettung verbarg sich ein klareres Ziel - die Umgehung von internationalen Sanktionen. Heute, im Dezember 2025, ist Venezuela kein Beispiel für gelungene Krypto-Innovation mehr, sondern für eine systematische, staatlich gesteuerte Methode, Gelder aus dem Ausland zu empfangen, ohne durch traditionelle Banken zu gehen.

Wie der PETRO zur Waffe wurde

Der PETRO sollte durch Ölreserven gedeckt sein - ein Versprechen, das nie eingelöst wurde. Stattdessen wurde er zu einem Werkzeug, mit dem die Regierung Geld aus dem Ausland empfangen konnte, ohne dass amerikanische oder europäische Banken eingreifen konnten. Die USA hatten 2017 Sanktionen verhängt, die venezolanische Staatsanleihen und Finanztransaktionen mit der Regierung verboten. Der PETRO war die Antwort: eine digitale Währung, die nicht über das traditionelle Bankensystem lief. Die US-Finanzaufsicht OFAC erklärte damals bereits, dass der PETRO eine Verletzung des Embargos darstelle - er sei ein neuer Typ von Staatsschuld, den US-Bürger nicht mehr unterstützen durften.

Was viele nicht wussten: Der PETRO wurde nie wirklich von der Bevölkerung angenommen. Zu groß war das Misstrauen. Zu wenig vertrauenswürdig war die Regierung. Doch für die Regierung selbst war er nützlich - als Brücke zu anderen Kryptowährungen. Denn während der PETRO im Inland scheiterte, wurde er als Sprungbrett genutzt, um Bitcoin, Ethereum und besonders Tether (USDT) ins Land zu bringen.

Stablecoins: Das unsichtbare Rückgrat der Sanktionsumgehung

USDT, der Tether, ist der wahre Star der venezolanischen Krypto-Szene. Er ist an den US-Dollar gebunden, stabil und weltweit akzeptiert. In Venezuela wurde er zur neuen Währung - nicht weil er besser ist, sondern weil er funktioniert. Während die bolivarische Währung innerhalb weniger Monate 99 % ihres Wertes verlor, blieb ein USDT einen Dollar wert. Für Bürger, die Lebensmittel kaufen mussten, war das eine Rettung. Für die Regierung und ihre Verbündeten war es eine Möglichkeit, Gelder aus Russland, China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten zu empfangen - ohne dass die Banken es merkten.

Die venezolanische Staatsölgesellschaft PDVSA nutzte USDT, um Öl an internationale Käufer zu verkaufen - oft über sogenannte Ship-to-Ship-Transfers im offenen Meer. Ein Tanker lud Öl in internationalen Gewässern auf einen anderen, während die Zahlung in USDT erfolgte. Keine Bank, keine Zollbehörde, kein Dokument - nur eine Blockchain-Transaktion. Die US-Justiz verurteilte 2022 fünf russische Geschäftsmänner, weil sie genau dieses System organisiert hatten. Sie verwendeten Kryptowährungen, um Öl zu schmuggeln und Geld zu waschen - und sie nutzten venezolanische Krypto-Börsen als Zwischenstation.

Staatlich kontrollierte Börsen: Die Tür zum globalen Krypto-Markt

Venezuela hat sieben Krypto-Börsen offiziell zugelassen. Keine davon ist unabhängig. Alle gehören oder werden von Regierungsmitgliedern kontrolliert. Die bekannteste ist Criptolago - eine Börse, die vom Bundesstaat Zulia betrieben wird, dessen Gouverneur Omar Prieto persönlich von den USA sanktioniert wurde, weil er humanitäre Hilfe blockierte. Diese Börsen sind nicht für die Bürger da, um zu handeln. Sie sind dafür da, Geld von außen hereinzulassen - und es dann in bolivarische Währung oder Bargeld umzuwandeln.

Die OTC-Broker in Caracas, die Bargeld gegen Kryptowährungen tauschen, sind der unsichtbare Arm dieses Systems. Sie arbeiten in kleinen Läden, in Wohnungen, manchmal sogar in Autos. Sie nehmen Dollar, Euro oder Rubel entgegen - und geben USDT oder Bitcoin zurück. Diese Transaktionen werden nicht registriert. Keine Bank meldet sie. Kein Steuerbeamter prüft sie. Und doch bewegen sie Milliarden. Für die meisten Venezolaner ist das eine Überlebensstrategie. Für die Regierung ist es ein Finanznetzwerk, das die Sanktionen umgeht.

Ein anonyme Krypto-Broker tauscht Euro gegen USDT in einer dunklen Gasse von Caracas.

Warum Venezuela einzigartig ist

Andere sanktionierte Länder - Russland, Iran, Nordkorea - nutzen Kryptowährungen ebenfalls, um Gelder zu bewegen. Aber keines hat es so systematisch gemacht wie Venezuela. Russland hat über Krypto-Transfers nachgedacht. Venezuela hat sie in die staatliche Wirtschaftspolitik integriert. Es gibt keine halben Lösungen hier. Es gibt keine Experimente. Es gibt ein vollständiges alternatives Finanzsystem, das parallel zur offiziellen Wirtschaft läuft - und das von der Regierung kontrolliert wird.

Dieses System ist nicht nur für Ölverkäufe da. Es dient auch dazu, Militärgeräte zu kaufen, Ausrüstung für die Polizei zu finanzieren und Auslandsreisen von Regierungsmitgliedern zu bezahlen. Selbst die Gehälter von Militärs und Sicherheitskräften werden heute teilweise in Kryptowährung ausgezahlt - weil die Banken in Venezuela keine Dollar mehr annehmen.

Die Doppelgesichtigkeit: Überleben vs. Kriminalität

Es ist schwer, die Grenze zu ziehen. Für eine Mutter in Caracas, die mit USDT Lebensmittel kauft, ist Kryptowährung eine Lebenslinie. Für einen Geschäftsmann, der Öl an einen russischen Schmuggler verkauft, ist es ein Verbrechen. Doch beide nutzen dieselben Plattformen, dieselben Börsen, dieselben Broker.

Finanzexperten nennen das eine "grauzone der Überlebenswirtschaft". Die meisten Venezolaner, die Kryptowährungen nutzen, haben keine Verbindung zur Regierung. Sie wollen nur nicht hungern. Doch die Strukturen, die sie nutzen, sind von kriminellen Netzwerken und staatlichen Akteuren kontrolliert. Das macht es für internationale Banken und Krypto-Plattformen unmöglich, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Deshalb blockieren viele Dienste venezolanische Nutzer komplett - aus Angst vor Sanktionen.

Einige Forscher warnen, dass Venezuela als Vorbild dient. Hezbollah, syrische und iranische Netzwerke nutzen bereits die gleichen Methoden. US- und israelische Behörden haben dokumentiert, wie USDT von Terrorgruppen genutzt wird, um Gelder über Venezuela zu transferieren - ohne Spuren zu hinterlassen.

Eine Regierungsbehörde steuert sieben Krypto-Börsen, die Gelder weltweit leiten.

Was kommt als Nächstes?

Die USA haben im Oktober 2025 einige Sanktionen ausgesetzt - nachdem Maduro zugesagt hatte, Wahlen abzuhalten. Doch sie haben auch klargestellt: Sollte er seine Versprechen brechen, werden die Sanktionen zurückkommen - und mit ihnen die Jagd auf Krypto-Transaktionen.

Die Blockchain-Analyse-Tools werden besser. Unternehmen wie Chainalysis und Elliptic können jetzt Muster erkennen, die vor fünf Jahren unsichtbar waren. Sie erkennen, wann ein USDT-Transfer von einer venezolanischen OTC-Börse kommt. Sie erkennen, wenn Gelder von PDVSA-Verbindungen fließen. Die Regierung in Caracas reagiert - sie testet jetzt Privacy-Coin-Netzwerke wie Monero und Zcash. Doch diese sind schwerer zu nutzen, weniger akzeptiert und für den Durchschnittsbenutzer fast unzugänglich.

Die Zukunft wird nicht darin bestehen, dass Venezuela die Sanktionen endgültig umgeht. Sondern darin, dass sie immer geschickter wird - und dass die Welt immer besser darin wird, sie zu entdecken.

Was bleibt?

Venezuela hat gezeigt, dass Kryptowährungen mehr sind als eine Technologie. Sie sind ein politisches Instrument. Ein Mittel der Macht. Ein Weg, sich gegen die Welt zu wehren - und dabei zu schaden, was man eigentlich retten will: die Bevölkerung.

Die Menschen, die Kryptowährungen nutzen, um zu überleben, sind keine Kriminellen. Aber sie leben in einem System, das von Kriminellen gesteuert wird. Und solange die Regierung diese Technologie als Waffe nutzt, wird es keine echte Erholung geben - nur eine andere Form der Kontrolle.

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